Trauer im Kohlerevier

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Trauer im Kohlerevier
NRZ Panorama, 19.11.2007 ELKE WINDISCH

BERGBAU. Nach dem schwersten Grubenunglück in der Geschichte der Ukraine rechnen die Hilfskräfte mit bis zu 100 Opfern.

DONEZK. In Donezk wehen Fahnen mit schwarzem Trauerflor auf Halbmast. Wieder einmal ist die Bergarbeiterstadt im Osten der Ukraine von einem Grubenunglück heimgesucht worden. Erst im September 2006 waren bei einer Gasexplosion in der Grube "Alexander Sasjadko" 13 Bergleute umgekommen. Dieser Schacht sorgt jetzt erneut für Negativschlagzeilen. In der Nacht zu Sonntag ereignete sich dort das mit Abstand schwerste Bergwerksunglück in der jüngeren Geschichte der Republik. Der Grund: eine Grubengasexplosion. 72 Kumpel waren auf der Stelle tot. Die meisten starben durch die Druckwelle nach der Explosion, andere verbrannten oder erstickten.

Gefährlicher Funkenflug

Gestern Abend belief sich die Anzahl der Todesopfer bereits auf 80. Weitere 20 Kumpel wurden noch vermisst. Ihre Rettungschancen tendieren wegen der hohen Temperaturen und der knappen Atemluft inzwischen gegen Null. In der Unglücksgrube, so der Sprecher einer Sonderkommission der ukrainischen Regierung, die den Hergang der Tragödie untersucht, herrsche nach wie vor eine unzulässig hohe Konzentration von Grubengas. Dessen Hauptbestandteil ist Methan, ein farb- und geruchloses Gas, das beim Abbau von Steinkohle meist in größeren Mengen anfällt und sich in den Hohlräumen der Stollen ablagert. Es ist leicht brennbar und entzündet sich schon durch Funkenflug beim Schürfen der Kohle oder eine schlecht isolierte elektrische Leitung.

Zwar verfügen Schächte, die in der Sowjetunion nach 1950 gebaut wurden, bereits über Melde- und Warnsysteme, moderne Typen schalten die Stromversorgung sogar automatisch ab, wenn die Methan-Konzentration über zwei Prozent ansteigt. Häufig werden die Warnsysteme jedoch auf Anweisung der Zechenleitung einfach ausgeschaltet, um die Förderung nicht drosseln zu müssen. Wegen entsprechender Vergehen müssen sich momentan leitende Mitarbeiter von Steinkohlegruben im russischen Südural und im Revier Karaganda in Nordkasachstan verantworten.

Auch arbeiten die Kumpel im Akkord. Um auf einen halbwegs sozialverträglichen Lohn zu kommen, kümmern sie sich nicht viel um Sicherheit und Arbeitsschutz: Regelmäßige Belüftungen, gesetzlich vorgeschrieben, finden nicht statt, weil dazu Fräsen und Förderräder angehalten werden müssen. Allein im Unglücksschacht "Sasjadko" kam es daher in den letzten sieben Jahren zu vier größeren Katastrophen mit insgesamt über 120 Toten. (NRZ)

Quelle: derwesten.de